Bis 2025 könnten bereits 150.000 PKW mit grünem Wasserstoff fahren
07.11.2019LÜBECK. Schulterschluss der fünf norddeutschen Küstenländer für den Aufbau einer grünen Wasserstoff-Wirtschaft als Säule der Energie- und Verkehrswende: Bei ihrem Herbst-Treffen in Lübeck verabschiedeten die für Wirtschaft und Verkehr zuständigen Minister, Senatoren und Senatorinnen heute (7. November) eine gemeinsame „Norddeutsche Wasserstoffstrategie“. Zugleich forderten die Ressortchefs die Bundesregierung auf, ihren Vorstoß zu unterstützen und in die vom Bund für Ende des Jahres angekündigte nationale Wasserstoff-Strategie einfließen zu lassen. „Mit unserer Strategie zeigen wir einen Weg auf, wie die Wasserstoffpotenziale insbesondere im Bereich der Industrie und der Mobilität gehoben werden können. Gerade unsere windreichen Küstenländer sind hervorragend für dieses industriepolitische Projekt geeignet, mit dem gleichzeitig Klimaschutzziele realisiert werden können“, sagte Konferenz-Gastgeber Dr. Bernd Buchholz (FDP), Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein. Ein erster wichtiger Schritt sei der Aufbau ausreichender Kapazitäten für Elektrolyse. Mit diesem technischen Verfahren kann Strom in Wasserstoff verwandelt werden. Die Strategie sieht vor, bis zum Jahr 2025 mindestens 500 Megawatt und bis zum Jahr 2030 mindestens fünf Gigawatt Elektrolyse-Leistung in Norddeutschland zu realisieren.
Nach den Worten von Buchholz könnten theoretisch allein mit den 500 Megawatt bei Einsatz von grünem Strom aus Windparks an Land rund 151.000 Pkw mit grünem Wasserstoff versorgt werden. Bei einer Steigerung auf fünf Gigawatt wären das 1,5 Millionen Pkw, das entspricht der derzeitigen Zulassung aller Pkw in Schleswig-Holstein. Darüber hinaus sei parallel zum derzeitigen Aufbau von E-Ladesäulen der Aufbau eines Wasserstoff-Tankstellennetzes nötig. Hierfür erachten die Ressortchefs eine Größenordnung von rund 250 Tankstellen in Norddeutschland für nötig.
Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschafts-Staatssekretär Dr. Stefan Rudolph (CDU) machte deutlich, dass die Energiewende nur mit einer umfassenden Sektorenkopplung gelingen könne: „Der Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft ist eine wirtschafts- und strukturpolitische Chance für die Küstenbundesländer. Denn: Grüner Wasserstoff ist ein Schlüsselenergieträger der Energiewende. Entscheidend ist es dabei, dass der Onshore- und Offshore-produzierte Strom aus nachhaltigen Energiequellen gespeichert werden kann und ihn für andere Bereiche – wie beispielsweise Industrie und Verkehr - nutzbar zu machen. Hier liegt Potential für mehr Wertschöpfung und auch für zukunftsfähige Arbeitsplätze. Deshalb müssen wir gemeinsam die Wasserstoffstrategie zügig vorantreiben und umsetzen.“
Hamburgs parteiloser Wirtschafts- und Verkehrssenator Michael Westhagemann machte zudem deutlich: „Mir ist Wasserstoff ein Herzensanliegen, und ich denke, die Zeit ist endlich reif, dass wir uns gemeinsam auf den Weg machen – nicht mehr nur mit allgemeinen Entschließungen, sondern ganz praktisch und Hand in Hand. Die Norddeutsche Wasserstoffstrategie soll hierfür unser politisches Bekenntnis ausdrücken und die Leitplanken setzen. Darauf warten die Akteure aus der Wirtschaft, denn sie stehen bereit, um ihren Beitrag zu leisten. Gemeinsam wollen wir nun den Prozess des Aufbaus einer Wasserstoffwirtschaft starten. Den notwendigen Rückenwind dazu muss der Bund beisteuern. Deshalb werden wir mit diesem Strategiepapier zeitnah auf die Bundesregierung zugehen, unsere Entschlossenheit hier in Norddeutschland verdeutlichen und den Bund auffordern, zügig die Weichen in Richtung Zukunft – in Richtung Wasserstoff zu stellen.“
Auch Niedersachsens Wirtschafts- und Verkehrsminister Dr. Bernd Althusmann (CDU) verwies auf die guten Voraussetzungen Norddeutschlands, zur führenden Region einer grünen Wasserstoffwirtschaft zu werden: „Regenerativer Wasserstoff wird der global strategische Energieträger der Zukunft. Deshalb wollen wir gemeinsam eine starke Wasserstoffwirtschaft aufbauen. Unser Ziel der vollständigen Versorgung aller interessierten Abnehmer mit ausreichend grünem Wasserstoff bis 2035 ist anspruchsvoll. Wichtig ist, dass der Bund jetzt die richtigen Rahmenbedingungen schafft. Nur so können die Unternehmen trotz ehrgeiziger Klimaschutzziele und steigender Energiekosten international wettbewerbsfähig bleiben.“
Im Einzelnen verwiesen die Minister und Senatoren auf folgende Standortvorteile des Nordens beim Aufbau einer Wasserstoff-Wirtschaft:
- hohe Erzeugungskapazitäten für On- und Offshore-Windstrom mit weiterem Ausbaupotential,
- unterirdische Formationen zur Speicherung von Wasserstoff,
- Seehäfen, die künftig eine wesentliche Rolle bei Import und Verteilung von grünem Wasserstoff und synthetischen Energieträgern sowie bei der Nutzung von Wasserstoff und dem Export von Wasserstofftechnologien und -komponenten spielen werden,
- maritime Unternehmen und wissenschaftliche Expertise sowie
- Industriezweige mit erheblichen Erfahrungen im Umgang mit Wasserstoff,
- zusätzliches Know-how wird in den sechs norddeutschen „Reallaboren der Energiewende“ aufgebaut.
Bremens erste Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt sagte: „Auch das Land Bremen wird sich gemeinsam mit den anderen Küstenländern intensiv mit der Technik zur Nutzung des überschüssigen Windstroms auseinandersetzen und so ein wichtiges Kompetenzfeld der Energiewende voranbringen. Der Einsatz von Wasserstoff als Energiespeichermedium ist ein wichtiger Pfeiler der Sektorenkopplung und eröffnet den Standorten Bremen und Bremerhaven erfolgsversprechende Zukunftsmärkte.“
Die für Bremens Häfen und Wissenschaft zuständige Senatorin Dr. Claudia Schilling ergänzt: „Forschung und Entwicklung und das Vorantreiben von Innovationen sind von wesentlicher Bedeutung für das Gelingen einer wasserstoffbasierten Wirtschaft. Wir wollen Norddeutschland zu einem Hotspot der Wasserstoffforschung machen.“
Weitere Themen der Konferenz
Mobilfunkversorgung: Die Konferenzteilnehmer waren sich einig, dass beim Ausbau der Mobilfunkversorgung ein deutlich schnelleres Tempo im Küstenraum an den Tag gelegt werden müsse. Die Minister und die Senatorin appellierten vor diesem Hintergrund noch einmal nachdrücklich in Richtung Bund, dass im Dialog mit den Ländern möglichst schnell eine bedarfsgerechte Versorgung sichergestellt werde.
Planungsbeschleunigung: Niedersachsens Wirtschaftsminister Dr. Bernd Althusmann informierte seine Länderkollegen über die ersten Ergebnisse des Interministeriellen Arbeitskreises Planungsbeschleunigung in Niedersachsen. Er verwies auf effektive Beschleunigungspotentiale im Umweltbereich, insbesondere durch Beschränkungen des Verbandsklagerechts und rief seine Länderkollegen auf, den Bund bei geplanten Änderungen zu unterstützen.
Norddeutsche Zusammenarbeit mit China: Angesichts erheblicher politischer Umwälzungen in China berieten die Minister, Senatoren und Senatoreninnen mit Bundes-Staatssekretär Niels Annen (Auswärtiges Amt) und Prof. Dr. Rolf Langhammer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) über die künftigen Handelsbeziehungen zu der Weltmacht. Beide Experten wiesen darauf hin, dass Investitionen in China nach wie vor riesige Chancen böten. Zugleich erlebe die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt derzeit aber auch eine seit Jahrzehnten nicht mehr dagewesene Zentralisierung der politischen Macht. Parallel dazu steige die Verschuldung bei wachsenden Importen und sinkenden Exporten. In zwei Jahren werde erstmals ein Leistungsbilanzdefizit erwartet. „Vor diesem Hintergrund dürfte unter anderem der Bau der Seidenstraße neu bewertet werden und das Projekt in Zukunft vermutlich an Strahlkraft verlieren“, sagte Langhammer. Sowohl Langhammer als auch Annen bezeichneten es für Deutschland und Europa als elementar, gegenüber China künftig deutlich einheitlicher aufzutreten als in der Vergangenheit. „Ansonsten nutzt China weiterhin kühl kalkulierend jede Schwäche aus, die wir zeigen“, so Annen.
Deutsches Maritimes Zentrum: Das vor zwei Jahren gegründete Deutsche Maritime Zentrum (DMZ) mit Sitz in Hamburg wurde den Konferenzteilnehmern von Geschäftsführer Dr. Wolfgang Sichermann vorgestellt. Aus Sicht der Minister, Senatorinnen und Senatoren ist es wichtig, das DMZ mit den anderen Institutionen im maritimen Bereich gut zu vernetzen, um so die Schlagkraft dieses Bereichs gemeinsam zu stärken.
Sichermann verwies in dem Zusammenhang auf aktuelle Studien, die vom DMZ in Auftrag gegeben wurden. So würden aktuell Fördermöglichkeiten einer nachhaltigen Modernisierung von Binnen- und Küstenschiffen ausgelotet. Darüber hinaus prüfen die Experten auf internationaler Ebene neue Finanzierungsmöglichkeiten in der maritimen Branche.
Hamburgs Wirtschaftssenator Westhagemann und Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Buchholz machten deutlich, dass das DMZ seinen Schwerpunkt künftig möglicherweise noch deutlicher auf Forschung, Entwicklung und Innovationen legen müsste. Dazu gehöre das Thema Wasserstoff ebenso wie Zukunftsprojekte rund um die Themen Sicherheit und autonomes Fahren. Buchholz erinnerte in dem Zusammenhang an das Projekt „CAPTin Kiel“, ein Pilotvorhaben zur Entwicklung einer autonomen integrierten Mobilitätskette durch Kombination sauberer Bus- und Fährverkehre in Kiel.